“Wie oft noch wirst Du Dich an einen
Nachmittag in Deiner Kindheit erinnern?
Einen Nachmittag der sich so tief in dein
Wesen eingeprägt hat,
dass Du Dir Dein Leben,
Ohne ihn nicht einmal vorstellen kannst.
Vielleicht wirst Du Dich noch
Vier oder Fünf mal an ihn erinnern,
Vielleicht nicht einmal so oft.“
(And One – Und Doch)
Ich erinnere mich an so einige Nachmittage in meiner Kindheit, aber auch an so viele Tage an sich. Wer gesehen hat was ich sah, erlebt hat was ich erlebte wird verstehen warum ich mich an die ersten zehn Jahre meines Lebens vielleicht mehr erinnere als andere. Warum ich mich an diese zehn Jahre besser erinnere als an irgendeinen Tag sonst in meinem Leben. Zuviel habe ich gesehen und erlebt, dass es sich vergessen lassen würde. Dies ist keine Story, dies ist ein Leben. Mein Leben. Oder genau gesehen die ersten zehn Jahre davon, denn sie haben mich am meisten geprägt.
Ich bin im Iran aufgewachsen. Ja Und? Werden sich jetzt viele denken. Doch wer einmal länger im Iran gelebt, oder vielleicht Kind dort war, wird mich verstehen. Allen anderen wird das wie eine Geschichte vorkommen, wie Fiktion. Doch genau das ist es nicht. Es ist meine Vergangenheit.
Meine Erinnerung beginnt an meinem dritten Geburtstag. An diesem Tag bekam ich von meinem Vater einen kleinen Teddybären geschenkt und war super stolz darauf. Ich wuchs mit 2 Schwestern und einem Bruder in der Nähe von Teheran auf. Es gab eine typische Rollenverteilung, während mein Vater das Geld verdiente (welches grade so zum Leben reichte) machte meine Mutter den Haushalt und kümmerte sich um mich und meine Geschwister. Schon früh am Morgen roch es in unserem kleinen Haus nach Reis und frisch gebackenem Brot. Diesen Geruch habe ich immer noch in der Nase wenn ich an dieses kleine Haus denke. Es war aus grauem Stein gebaut und hatte nur zwei Zimmer, ein kleines Bad und eine große spartanische Küche, in der ich immer auf dem Fußboden spielte wenn meine Mutter in der Küche zu Gange war. Mein Bruder war fünf Jahre älter als ich und hatte das Glück in die Schule gehen zu dürfen. Im Iran war und ist das nicht immer der Fall. Eine meiner Schwestern hat erst nach unserer Flucht nach Deutschland eine Schule von innen gesehen. Ich war ganze Vormittage mit meiner Mutter alleine, bis ich vier Jahre alt wurde und man mich für Wochen in ein Camp steckte wo ich lernte mit Waffen umzugehen.
Kindersoldaten. Sie werden verschwiegen aber es gibt sie. Und ich war einer davon. Ohne meine Familie wurde ich über Wochen mit anderen Kindern in einer Art Kaserne eingesperrt. Jeden Morgen wurden wir mit einem Wasserschlauch geweckt bevor wir erstmal eine Stunde über das Gelände laufen mussten. Viele von uns blieben zurück. Wer zusammenbrach wurde Geschlagen, Gefoltert oder auf der Stelle umgebracht. Viele Kinder hatte ich so sterben sehen. Einfach kaltblütig erschossen oder zu Tode geprügelt. Mitten auf dem Gelände als abschreckendes Beispiel. Wie oft war ich kurz vor dem Zusammenbruch gewesen und kämpfte weiter in der Hoffnung ich würde wieder nach Hause kommen.
Es war ein heißer Tag im Juni. Ich erinnere mich so genau weil es kurz vor meinem fünften Geburtstag gewesen war als Truppen in den Iran zogen. Wir wurden mit an die Front geschickt. Lauter erwachsene Soldaten und dazwischen eine Gruppe von zehn Kindern von denen keines älter als sieben war. Wir sollten auf die Gefangen aufpassen. Doch dann der Befehl an dem ich fast gescheitert währe. „Du da. Erschieß ihn.“, einer der Truppenführer sah mich an und deutet auf einen kleinen dünnen Mann in Ketten der mich mit großen braunen Augen ansah. Ich wusste mit meinen vier Jahren schon das dass Schicksal dieses Mannes besiegelt war und wenn nicht ich dann ein anderer ihn töten würde. So dachte ich in diesem Moment nur an mein eigenes Leben und daran das ich wieder nach Hause wollte und drückte ab. Diesen Anblick werde ich nie vergessen wie dieser mir unbekannte Mann durch meine Kugel starb.
Es dauerte noch einige Wochen bis ich dann wieder zu Hause war. Es waren nur drei Jungen von am Anfang dreißig die an diesem Tage ihre Familie wieder sahen. Ein Jahr lang sprach ich kein Wort. Meine Mutter versuchte vergeblich mir ein wenig zu helfen doch die Erlebnisse saßen zu tief in diesem Moment. Ein Jahr lang lebte ich in meiner eigenen Welt. Fernab von Armut, Krieg und Bombemeinschlägen.
In der Schule wurde dann alles anders. Ich wusste dass es ein Privileg war zu lernen und wusste dass ich dafür sprechen musste. Ich wollte irgendwann einmal raus aus dem Iran wollte irgendwo Geld verdienen und dann den Iran kaufen und alles anders machen. Ich war grade einmal sechs ich stellte mir das so einfach vor. Dabei war es nicht einfach und es würde auch nicht einfacher werden.
Ich hatte mit sechs eine sehr gute Freundin, wir spielten immer wieder gemeinsam. Wir wussten dass es nicht erlaubt war. Es war Sittenwidrig, dass Jungs und Mädchen miteinander spielten und sogar Händchen hielten. Die Sittenpolizei hatte uns immer wieder aufgegriffen. Erst mussten wir nur von unseren Eltern abgeholt werden doch nach dem dritten Mal war es denen dann genug und ich und wir wurden in ein Gefängnis gesteckt. Drei Tage lang wurde ich einige male am Tag mit einhundert Peitschenhiebe bestraft. Bestraft dafür dass ich Kontakt zu einem Mädchen hatte. Obwohl wir zu diesem Zeitpunkt an Sex oder ähnliches sicherlich noch nicht gedacht hatten. Nur drei Monate später hatte meine Familie erneut Kontakt zu der Sittenpolizei. Doch diesmal nicht wegen mir, obwohl ich noch einige male danach festgenommen und gepeitscht wurde, sondern wegen einer meiner Schwestern. Sie war wegen unkeuschem Verhalten verhaftet geworden und eingesperrt worden. Meine Eltern ließen mich während der dreitägigen Verhandlung mit meinem Bruder und meiner anderen Schwester bei meiner Großmutter. Drei Tage lang hatten wir nichts gehört und dann der Schlag. Meine Schwester würde hingerichtet werden. In zwei Tagen sollte in Mitten des Dorfes ein Galgen stehen an dem sie erhängt werden würde. Die zwei Tage vergingen viel zu schnell und am Morgen stand ich dann mit meiner Familie auf dem Dorfplatz und musste mir ansehen wie meine Schwester am Galgen starb. Er später erfuhren wir warum sie starb. Ihr Tagebuch erzählte uns ihre Geschichte. Sie war Vergewaltigt worden und eben genau von diesem Vergewaltiger angezeigt. Er selbst bekam keine Strafe. Typisch für ein Land bei dem Mann schon gehängt wird wenn man Homosexuell ist, oder gesteinigt wenn man Ehebruch begeht.
Ich erinnere mich noch heute an die Tränen meiner Mutter wenn sie nachts im Bett meiner Schwester lag und um sie trauerte. Doch viel Zeit zum trauern war nicht, denn ausländische Truppen begannen immer wieder Bomben zu feuern. Aus großen Militärmaschinen feuerten sie auf die wenig besiedelten Gebiete. Jeden Tag hatten wir Todesangst. Mein Bruder lies sich von einer amerikanischen Truppe mitnehmen und zu einem Soldaten ausbilden. Ein halbes Jahr lang kamen noch Briefe aus Amerika und dann kam nichts mehr. Ich weiß bis heute nicht ob er sich einfach nur abgesetzt hat oder ob er damals im Krieg gefallen war.
Die Jahre vergingen und immer wieder wurden Familienmitglieder von der Sittenpolizei festgenommen. Meine Mutter wurde verhaftet weil ihr Rock um 3 Zentimeter zu kurz war. Sie war 3 Wochen in einem Gefängnis und als sie wiederkam erkannte ich sie kaum wieder. Sie war grün und blau geschlagen. Die Wochen vergingen und irgendwann kam meine Mutter zu mir und drückte mir einen Rucksack in die Hand. Ich und meine Schwester würden weggehen. Gemeinsam mit amerikanischen Soldaten und gefälschten Pässen, sollte es nach Deutschland gehen. 3 Wochen waren ich und meiner Schwester unterwegs. Drei Wochen in denen wir nicht sicher waren irgendwo anzukommen. Schon in der ersten Nacht fing ich an meine Eltern zu vermissen. Besonders meine Mutter mit der ich so viel Zeit verbracht hatte. Die mich umarmt hatte und bei der ich einfach trotz all dieser Erfahrungen ein kleiner ängstlicher Junge sein konnte.
In Deutschland war dann alles anders. Ich besuchte die Schule, lernte Deutsch, machte eine Ausbildung und begann ein neues Leben. Zu meiner Mutter hatte ich ab meinem fünfzehnten Lebensjahr Briefkontakt, den mein Ziehvater hergestellt hatte. Mein Vater war kurz nach unserem Weggang verstorben. Und nach fast zehn (oder waren es mehr Jahre?) kam meine Mutter nach Deutschland nach.
Mein Fazit:
Auch wenn die Zeit hart war möchte ich keine Minute mit meiner Familie und den paar Freunden die ich hatte missen, doch der Iran ist kein Platz an dem Menschen leben sollten. Denn der religiöse Fanatismus zerstört Schicksale.